Sitemap Impressum/Datenschutzhinweis
2. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble über die Souveränität Deutschlands

Ab Minute 00:26 folgt dann als erster Wolfgang Schäuble. Er hielt anlässlich des 21. Europäischen Bankenkongress am 18. 11. 2011 eine Rede. Hier der Ausschnitt der relevanten Passage aus dem Ausgangsvideo:

Quelle: Youtube, Link eingesehen am 26. 11. 2015

Selbstverständlich gibt es die Rede auch vollständig im Internet, sowohl zum Nachlesen als auch als Videomittschnitt.

Zunächst die wortwörtliche Wiedergabe der Passage des Ausgangsvideos:

"Das war die alte Ordnung, die dem Völkerrecht noch zu Grunde liegt, mit dem Begriff der Souveränität, die in Europa längst ad absurdum geführt worden ist - spätestens in den zwei Weltkriegen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen."

Sieht man davon ab, dass das Wort "gewesen" im Ausgangsvideo etwas untergeht und somit die Vergangenheitsform nicht eindeutig ist, wenn man nicht richtig zuhört, stehen diese Äußerungen in einem Zusammenhang. Stellt man den Kontext wieder her, wird unmissverständlich klar, dass Schäuble nicht der Meinung ist, dass Deutschland nicht souverän sei oder gar besetzt.

In welchem Zusammenhang aber stehen nun Wolfgang Schäubles Äußerungen?

Zunächst stelle ich hier die vollständige Rede vor, Laufzeit des ersten Teils knapp 20 Minuten:

 

 

Quelle: Mitschnitt des TV-Senders "Phoenix", 1. Teil, veröffentlicht auf Youtube, Link eingesehen am 26. 11. 2015, die relevante Passage folgt erst ab Minute 18:48 bis 19:09.

Leider ist auch dieser Mitschnitt nicht vollständig, es gibt einen weiteren Mitschnitt auf Youtube, deren Urheber/Quelle nicht eindeutig nachvollziehbar ist. Um die Vollständigkeit der Rede als Video dennoch zu demonstrieren, zeige ich hier den 2. Teil, die erste Hälfte habe ich geschnitten, da diese oben bereits vorliegt:

 

Quelle: Ein Youtube-Video, eingestellt am 20. 11. 2011 von Jens B, Link eingesehen am 26. 11. 2015, aufgrund eines Vorspanns ist das Video insgesamt länger. Ich zeige hier den Mitschnitt ab Minute 20:42, die kleine Überschneidung ist gewollt, um zu dokumentieren, dass ich keine Auslassungen vorgenommen habe. In diesem zweiten Video ist die relevante Textpassage ab Minute 00:56 zu sehen.

Nun zum Kontext der Rede:

Die Tagung trägt den Titel "The Big Shift", dies meint nach Wolfgang Schäuble:

"Denn „The Big Shift“ umschreibt ja, dass wir vor der Notwendigkeit stehen, uns vertieft und vielleicht klarer und deutlicher, als wir es in den letzten Monaten getan haben, darauf zu konzentrieren, was die Ursachen der Krisen [meint Finanzkrisen, T. B.] sind.

Die Ursachen der Krisen, die wir seit 2008 in unterschiedlichen Formen erleben, sind im Wesentlichen zwei oder zweieinhalb:

Das eine ist ein Mangel an Regulierung - die alte Erfahrung, dass es ganz ohne Regulierungen nicht geht. [...]

Und wir haben zweitens einen Mangel an Regulierung. Deswegen müssen wir uns den beiden Bereichen zuwenden. Ich glaube schon, dass wir ein Stück weit einen Paradigmenwechsel brauchen: Das ökonomische Leitbild der Chicago School, wonach unregulierte Märkte stets dem Allgemeinwohl dienen und wonach unregulierte Märkte fast die einzig notwendige Voraussetzung für wirtschaftlichen Wohlstand seien, ist nicht mehr unbestritten, um es zurückhaltend zu sagen."

Hier wird schon einmal die inhaltliche Füllung angerissen. Wenn es eine Regulierung gibt, ist man, sofern diese Regulierung in irgendeiner Form auf supranationaler Ebene existiert, nicht mehr souverän. Denn man unterwirft sich freiwillig einem Reglement, Vereinbarung oder Vertrag, deren Regeln eingehalten werden müssen.

Ein sehr schönes Beispiel bietet gerade die europäische Fiskalpolitik. Mit dem Vertrag von Masstricht sollte die europäische Integration weiter vorangetrieben werden, auch im wirtschaftlichen Bereich:

"1992 haben sich die Unterzeichner des Maastrichter Vertrages zur Einhaltung der so genannten "Konvergenzkriterien" verpflichtet. In der zweiten Stufe für die Verwirklichung der WWU, die am 1.1.1994 begann, werden v.a. drei Ziele verfolgt: (1) Die Herstellung einer dauerhaften Konvergenz der Mitgliedstaaten im Wirtschafts- und Währungsbereich, insbesondere hinsichtlich der Preisstabilität und gesunder öffentlicher Finanzen, (2) die Verwirklichung einer Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken von den jeweiligen Exekutiven, (3) die Einrichtung eines Europäischen Währungsinstitutes (EWI), das die währungspolitischen Vorbereitungen für die Endstufe der WWU trifft."

[Band 5. Die Europäische Union: Wirtschaft und Währung. Lexikon der Politik, S. 6403 (vgl. LexPol. Bd.5, S. 296) http://www.digitale-bibliothek.de/band79.htm ]

Schon damals war eine gemeinsame europäische Währung im Gespräch, hierzu mussten bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden:

"Der Maastrichter Vertrag und die Konvergenzpolitik: Der Vertrag über die Europäische Union (EU-V) orientiert sich in seinen Bestimmungen über die WWU in hohem Maße an den Vorschlägen des Delors-Berichtes. Im Endzustand sollen nach den Maastrichter Beschlüssen die Kompetenzen für die Geld- und Fiskalpolitik – wenn auch unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips – von der Nationalstaats- auf die Gemeinschaftsebene übertragen werden. Ein Europäisches Zentralbanksystem (EZBS) übernimmt in dieser Endstufe die Verantwortung für die Geldpolitik, und es wird eine gemeinsame europäische Währung eingeführt."


[Band 5. Die Europäische Union: Wirtschaft und Währung. Lexikon der Politik, S. 6403 (vgl. LexPol. Bd.5, S. 295f) http://www.digitale-bibliothek.de/band79.htm ]

Schon damals hatte man in diesem Bereich nationalstaatliche Kompetenzen und Aufgaben auf eine supranationale Ebene heben wollen.

Um die Einhaltung der Kriterien zwecks Stabilität des Euros Nachdruck zu verleihen, wurde der sg. "Fiskalpakt" unterschrieben. Alle EU-Mitgliedsländer mit Ausnahme Großbritanniens und Tschechiens haben ihn am 2. März 2012 ratifiziert.

Der "Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" führte eine Sanktionierbarkeit bei Verstoß gegen die Maastricht-kriterien ein. Wenn das strukturelle Defizit mehr als 0,5% des BIP oder die Gesamtschuldenquote mehr als 60% beträgt. In solchen Fällen müssen die betroffenen Staaten ihre Programme zum Schuldenabbau sich von der EU-Kommission und Europäischen Rat genehmigen lassen.

Dies ist natürlich eine Einschränkung der nationalen Souveränität!

Schon 2007 hatte der damalige EZB-Präsident eine EU-Fiskalunion vorgeschlagen, um Wirtschaftskrisen zu vermeiden, erste Vorschläge hierzu wurden 2010 gemacht. Schäubles Rede im November 2011 steht also im Kontext der Finanzkrisen und verschiedener Vorschläge, diese in den Griff zu bekommen zu einem Zeitpunkt, in dem wesentliche Kernpunkte des sg. "Fiskalpakts" bereits fest standen.

Das im Ausgangsvideo von den sg. "Reichsbürgern" heraus gegriffene Zitat ist im folgendem Wortlaut eingebettet. Wolfgang Schäuble führt weiter aus:

"Ich glaube übrigens, dass diese Form der europäischen Einigung - wenn Sie mir die Bemerkung, die nicht unmittelbar im Vordergrund Ihres Interesses steht, erlauben - eine modernere ist, als vieles, was uns von unseren Kritikern entgegengehalten wird, nach dem Motto, dass das alles nicht funktionieren könne. Die Kritiker, die meinen, man müsse eine Konkurrenz zwischen allen Politikbereichen haben, die gehen ja in Wahrheit von dem Regelungsmonopol des Nationalstaates aus. Das war die alte Ordnung, die dem Völkerrecht noch zu Grunde liegt, mit dem Begriff der Souveränität, die in Europa längst ad absurdum geführt worden ist - spätestens in den zwei Weltkriegen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen. Das wusste übrigens das Grundgesetz, das steht schon in der Präambel 1949 – das Ziel, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. 

Der Grundgedanke ist, das war gar nicht so europaselig oder romantisch, die klare Einsicht jedenfalls in Europa - das mag in anderen Kontinenten anders sein - dass in Europa alle Nationalstaaten, die kleinen wie Luxemburg, aber auch die relativ großen wie Deutschland, nicht in der Lage sind, all die Probleme in souveränen Entscheidungen zu lösen, die in der globalen Welt - und das gilt im 21. Jahrhundert viel mehr, als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – anstehen. 

Deswegen ist der Versuch, in der europäischen Einigung eine neue Form von governance zu schaffen, wo es eben nicht eine Ebene gibt, die für alles zuständig ist und die dann im Zweifel durch völkerrechtliche Verträge bestimmte Dinge auf andere Ebenen überträgt, nach meiner festen Überzeugung für das 21. Jahrhundert ein sehr viel zukunftsweisenderer Ansatz, als der Rückfall in die Regelungsmonopolstellung des klassischen Nationalstaates vergangener Jahrhunderte. Und dem entspricht die Euro-Zone. Aber natürlich müssen wir das auf den Finanzmärkten überzeugend darstellen."

Die Hervorhebung stammt von mir und kennzeichnet das von den Reichsbürgern heraus gegriffene Zitat. Die gesamte Rede ist im Wortlaut hier zu finden, zuletzt eingesehen am 26. 11. 2015

Schäuble macht eindeutig Werbung für die Abgabe nationalstaatlicher Kernkompetenzen, um Krisen gemeinsam lösen zu können. Es wird festgestellt, dass die Probleme nicht im nationalstaatlichen Alleingang gelöst werden können. Die ist die inhaltliche Füllung der Aussage, dass Deutschland nicht souverän sei seit 1945!

An dieser Stelle sei mir eine Anmerkung erlaubt: Kein Staat dieser Welt ist souverän! Jeder Staat ist in seiner Souveränität eingeschränkt aufgrund von bi- und multilateralen Abkommen und internationalen Vereinbarungen. Staaten können sich zwar über diese hinweg setzen, müssen dann aber mit Sanktionen rechnen.