Nachdem das Speziallager geschlossen wurde, hat die kasernierte Volkspolizei das Gelände intensiv genutzt für militärische Übungen, viele bauliche Zeugnisse wurden zerstört. Erst als ehemalige Häftlinge hiergegen vorgingen und an ihren Ort des Leidens erinnerten und man begann, in der DDR an diese Orte erinnern zu wollen, begann man, den Ort als Gedenkstätte zu planen und zu realisieren.
Bereits kurz nach Kriegsende wollten Überlebende an ihren Ort des Leidens erinnern. Ende 1953 hatte der ehemalige Häftling Heinz Schumann in seiner Funktion als Funktionär des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer Planungen eingebracht, um an Sachsenhausen, Buchenwald und Ravensbrück zu erinnern. In seinem Brief an die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten beschrieb er den katastrophalen Zustand des Geländes, das einem Schuttplatz gleiche, die Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei sich der Bedeutung des Ortes nicht bewusst seien. Gebäude wurden demontiert, um Baustoffe zu erhalten. Da man im September 1954 eine Gedenkveranstaltung plante mit ehemaligen Häftlingen aus dem Ausland, wurden staatliche Stellen aktiv. Erhalten waren massive Steinbauten sowie größtenteils der erste Barackenring. Für die Kundgebung zum Jahrestag der Befreiung 1954 wurde ein Ehrenmal errichtet, hierfür verwendete man bewusst Steine des Zellenbaus. Dem öffentlichen Gedenken zum Trotz wurden aber weitere bauliche Zeugnisse zerstört. Im März 1955 erhielt Karl Schirdewan vom Komitee einen Brief, der erneut darauf hinwies, dass das Gelände erneut einem Schuttplatz gleiche, Dachstühle von Wachtürmen demontiert seien.
Anfang 1955 wurde das "Kuratorium zum Aufbau nationaler Mahn- und Gedenkstätten" gegründet. Somit wurde das Gedenken zur Staatsaufgabe, den Vorsitz des Kuratoriums übernahm der Ministerpräsident der DDR, damals Otto Grotewohl.
Im Sommer kam es zu einer Aussprache zwischen dem Oranienburger Kulturbund und dem Komitee. Dort wurde eindeutig vermittelt, dass alle Anstrengungen sich auf die Gedenkstätte Buchenwald richten würden.(1) Buchenwald wurde aus ideologischen Gründen präferiert, da dort der kommunistische Widerstand deutlich größer, die kommunistischen Häftlinge mehr Macht inne hatten im Rahmen der Häftlingsselbstverwaltung.
Wie ich hier aufzeigen werde, hatte die Gedenkstätte Sachsenhausen der DDR kaum Bezug zu Ereignissen der Jahre 1936-1945. Im Vordergrund standen die aktuelle Politik und der kalte Krieg. Konstituierend für die Ausstellungen und das gesamte Erscheinungsbild der Gedenkstätte der DDR waren einerseits die sg. "Dimitroff-Doktrin", die den Faschismus als pervertierte Form des Kapitalismus ansah und die damaligen politischen Rahmenbedingungen. Diese Doktrin in Verbindung mit der Ost-West-Konfrontation sorgte dafür, dass der historische Ort instrumentalisiert wurde zur Selbsterhöhung der DDR und zum Bollwerk gegen die kapitalistische Bundesrepublik.
Erst Anfang November 1955 ließ sich der Verfall (besser: Raubbau) des ehemaligen Konzentrationslagers stoppen. Ein Jahr später, im Dezember 1956, begann man auf Grundlage der Arbeit des Buchenwald-Komitees mit den konkreten Planungen für die Nationale Maahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen. Die konstituierende Sitzung des Komitees für die Einweihung der Gedenkstätte fand am 10. Oktober 1960 statt und stand unter dem Motto:
"Sachsenhausen mahnt. Sichert den Frieden. Bändigt die Militaristen und Faschisten in Westdeutschland, den Todfeinden der Völker!"
Vgl. Köpp, Ulrike: Die Einweihung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen im April 1961. "Das Hochlassen der Tauben ist zu streichen" - Die Vorbereitung von oben, in: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8), Berlin 1996, S. 306.
Für das Verständnis des gelenkten Gedenkens und Mahnens spielt auch die damalige internationale Politik eine wesentliche Rolle. 1955 traten die Pariser Verträge in Kraft, die die Bundesrepublik zu einem souveränen Staat machte, die Bundesregierung wurde von den Westalliierten als alleinige Regierung Deutschlands betrachtet, die Westbindung voran getrieben.
Die grundlegende Haltung beschrieb der Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus zur Vorbereitung der Gedenkstätte:
"Zwischen dem Hitlerfaschismus und der Politik der Bonner Regierung bestehen keine prinzipiellen Unterschiede."
Hausmitteilung des IML vom Januar 1961, zitiert nach Nieden, Susanne zu: Das Museum des antifaschistischen Freiheitskampfes der europäischen Völker, S. 255-263, hier S. 258, in: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8), Berlin 1996
Da die Dimitroff-Doktrin definierte, dass der Faschismus die "offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" sei, liegt es auf der Hand, das Geschichtsbild entsprechend antikapitalistisch zu entwerfen, die Bundesrepublik zu diffamieren. "Kern der faschistischen Ideologie ist der extreme Antikommunismus"(2), heißt es im Philosophischen Wörterbuch der DDR unter Bezugnahme der Definition Dimitroffs. Letztlich beschreibt das Philosophische Wörterbuch die Grundlagen der Ausstellungen und des Geschichtsbildes. Ferner heißt es dort, dass der Faschismus die Volkswirtschaft zur Vorbereitung eines Krieges unterwerfe, der Hauptangriff sich gegen die Arbeiterklasse richte. "Der Faschismus ist die Reaktion der imperialistischen Bourgoisie auf die Veränderung des Kräfteverhältnisses seit dem Beginn der allgemeinen Krise des Kapitalismus, seit dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution."(3)
Der Kern der Definition lässt sich auf das Jahr 1924 zurück verfolgen zum V. Weltkongress der Komintern.(4) Schließlich wurde sie 1935 auf dem VII. Weltkongreß 1935 dann von Dimitroff ausdrücklich gebilligt.
Der bereits erwähnte SMAD-Befehl 35/1948 zeigt, dass sich an den ideologischen Grundlagen im zeitlichen Verlauf nichts geändert hat:
Quelle: Zentralverordnungsblatt, Jahrgang 1948, S. 88.
Mit der Verstaatlichung des Privatbesitzes hatte man dem Sozialismus genüge getan, dem Faschismus den Boden angeblich entzogen. Ohne Kapitalismus keinen Faschismus, das war die einfache ideologische Formel.
In einer 1988 erschienenen Broschüre über die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten heißt es Vorwort unter Bezug auf die Dimitroff-Doktrin:
"Die Faschisten errichteten ihre blutige Diktatur als grausamste, terroristische und chauvinistische Herrschaftsform des Monopolkapitals."(5)
Die Ausführungen über Sachsenhausen werden abgeschlossen mit:
"Dass sich so etwas bei uns niemals wiederholt, dafür ist mit der Errichtung der Macht der Arbeiterklasse und dem Aufbau des Sozialismus die Gewähr gegeben."(6)
Der historische Ort und das individuelle Leiden der ehemaligen Häftlinge wurden dem antifaschistischen Selbstverständnis der DDR untergeordnet. Die zugrunde liegende Ideologie hat zur Folge, dass die Nationale Mahn- und Gedenkstätte mit ihren Ausstellungen folgende Elemente beinhalten musste:
Diese Elemente durchziehen als roten Faden die Stellungnahmen und Planungen bis hinein in die Ausstellungen die frühere Nationale Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen.
Die Eröffnungsrede Walter Ulbrichts stand deutlich weniger im Zeichen des Gedenkens sondern im Zeichen aktueller Politik aus Sicht der DDR.
Die Nationale Mahn- und Gedenkstätte wurde am 23. April 1961 eröffnet. Walter Ulbricht erwähnte zwar verschiedene Weltanschauungen der Opfer, stellte aber eindeutig die politischen Häftlinge in den Vordergrund, sie wurden verfolgt und ermordet, "weil sie Sozialisten waren".
"Jeder Fußbreit dieses Bodens ist getränkt mit dem Blut in dem Todesschweiß Zehntausender Märtyrer aus vielen Nationen, zehntausender Menschen verschiedenster Weltanschauungen. Hier wurden sie gehetzt und zu Tode gequält, gefoltert und hingemordet, nur weil sie ihr Volk, nur weil sie Freiheit, Frieden und Demokratie liebten, mehr liebten als das eigene Leben. Weil sie Sozialisten waren. Weil sie einen Völkermord verabscheuten."
Rede Ulbricht ab Minute 00:48, die Rede können Sie unten im O-Ton vollständig hören.
Insgesamt thematisiert die Rede mehr die aktuelle politische Situation aus Sicht der DDR, die DDR habe das Vermächtnis der Anti-Hitler-Koalition erfüllt, Faschismus und Militarismus ausgerottet, während in der Bundesrepublik sich erneut der Faschismus ausbreite.
Sie gehen in ihren Deutschland, so unendliches Leid zugefügt wurde, haben in den letzten Jahren oft von den Revancheforderungen der Atomkriegs-Rüstung der westdeutschen Regierung gehört. Mit Recht haben sie gefragt: Wird das deutsche Volk nicht endlich die Lehren aus zwei Weltkriegen ziehen? Wir, die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, können mit gutem Gewissen antworten. Wir haben die Lehren gezogen. Wir haben Wiedergutmachung geleistet, soweit das überhaupt möglich ist. Wir haben den militaristischen und reaktionären Ungeist, der die deutsche Vergangenheit unheilvoll beeinflusste, bewältigt, indem wir Nazismus und Militarismus mit der Wurzel ausgerottet haben.
Rede Ulbricht ab Minute 06:17, die Rede können Sie unten im O-Ton vollständig hören.
Einmal mehr wird der antifaschistische Widerstandskampf erwähnt, die DDR als das bessere Deutschland hervorgehoben und die Bundesrepublik als "faschistisch" bezeichnet:
Liebe Freunde, überzeugen Sie sich selbst davon, hier in der Deutschen Demokratischen Republik hat das andere Deutschland Wurzeln geschlagen.
Hier wurde das Vermächtnis der Antifaschisten erfüllt. Hier wurde konsequent Schluss gemacht mit der Politik imperialistischer Eroberungen. Hier herrscht und wird von Jahr zu Jahr stärker jenes andere, jenes wahre Deutschland, der Freiheit des Humanismus, des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus, dessen Vertreter einst in diesem Todeslager zusammen mit den Patrioten und Antifaschisten vieler Länder litten, kämpften und starben und schließlich gemeinsam doch siegten.
Wir haben in der Deutschen Demokratischen Republik den Nazi-Ungeist des Herrenmenschentums, des Antisemitismus und des Rassenhass beseitigt. Wir haben durch unser Friedensgesetz, von der Volkskammer feierlich bestätigt, jede Kriegs- und Rassenhetze untersagt. Wir haben an die Stelle der faschistischen und militaristischen Barbarei als höchstes Gut die Menschlichkeit gesetzt. Wir haben feste Voraussetzungen geschaffen für die Entwicklung der Deutschen Demokratische Republik zur Bastion des Friedens, des Humanismus und des Fortschritts in Deutschland.
Rede Ulbricht ab Minute 09:11, die Rede können Sie unten im O-Ton vollständig hören.
Natürlich muss auch die Bundesrepublik entsprechend diffamiert werden:
Es ist für uns Deutsche beschämend, feststellen zu müssen, dass in einem Teil unseres Vaterlandes, in der westdeutschen Bundesrepublik die Hintermänner, Drahtzieher und die Nachfolger der nazistischen und militaristischen Verbrechen wieder Oberwasser gewonnen haben, sich ihrer Taten brüsten und neue Untaten vorbereiten. Die Grundgedanken der Anti-Hitler-Koalition und der Potsdamer Abkommen sind dort längst, und das ganz offensichtlich, über Bord geworfen worden. Westdeutschland ist zum Hauptherr der Kriegsgefahr in Europa geworden. Die westdeutschen Militaristen betreiben eine vor allem auch für ihre Bundesgenossen lebensgefährliche Revanchepolitik.
Rede Ulbricht ab Minute 13:16, die Rede können Sie unten im O-Ton vollständig hören.
Im weiteren Verlauf geht Ulbricht auf die Kuba-Krise ein, grüßt die Arbeiterklasse in Westdeutschland und fordert einen Friedensvertrag.
Die vollständige Rede Walter Ulbrichts zur Eröffnung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen im O-Ton (knapp 28 Minuten):
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv Dok 907/1/2
Im September 1961 wurden die Aufgaben der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten durch Gesetz festgelegt, unter §2 Absatz 1 heisst es:
"§ 2 Aufgaben
(1) Die Nationale Mahn- und Gedenkstätte hat die Aufgabe:a) den Kampf der deutschen Arbeiterklasse und aller demokratischen Kräite gegen die drohende faschistische Gefahr;
b) die Rolle der KPD als der stärksten und führenden Kraft im Kampf gegen das verbrecherische Naziregime;
c) den antifaschistischen Widerstand in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland und in den europäischen Ländern;
d) den SS-Terror im Lagern· und seine Methoden der Mißachtung des menschlichen Lebens;
e) den gemeinsamen Kampf der Angehörigen der europäischen Nationen, besonders den Kampf der sowjetischen Häftlinge, gegen den SS-Terror, die besondere Bedeutung der internationalen Solidarität in diesem Kampf und die Maßnahmen, die zur Befreiung des Lagers führten;
f) den wiedererstandenen Faschismus und Militarismus in Westdeutschland
g) die historische Rolle der Deutschen Demokratischen Republik
darzustellen und zu erläutern.
Quelle: Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik Teil II, Nr. 61 vom 4. September 1961.
Per Gesetz wurden hier alle wesentlichen Merkmale der Geschichtsschreibung festgelegt, die Rolle der KPD als angeblich stärkste Kraft des Widerstandes, die Rolle der Sowjetunion wurde besonders betont und letztlich auch per Gesetz festgecshrieben, dass in der Bundesrepublik der Faschismus erneut auferstanden sei.
(1) Vgl. Nieden, Susanne zur: Erste Initiativen für Mahnmale in Oranienburg und Sachsenhausen, in: Morsch, Günter (Hrsg.): Von der Erinnerung zum Monument. Die Entstehungsgeschichte der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Bd. 8), Berlin 1996, S. 141.
(2) Stichwort "Faschismus" in Klaus, Georg/Buhr, Manfred (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch (2 Bde.), Westberlin 1985, 13. Auflage, hier Bd. 1 S. 403-406., hier S. 404.
(3) Ebd., S. 403.
(4) Wippermann, Wolfgang: Faschismustheorien. Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion, 5. Auflage Darmstadt 1989, S. 58.
(5) Bezirksleitung Potsdam der SED, Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung (Hrsg.): Nationale Mahn- und Gedenkstätten auf dem Territoriums des Bezirkes Potsdam (=Regionalgeschichtliche Dokumente aus dem Havelbezirk Heft 4), S. 4.
(6) Ebd., S. 43.